Liebe Leser*innen
„Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmerung steht er, groß und unbekannt,“
Als ich neulich den Anfang dieses Gedichtes von Georg Heym las, brachte ich das spontan mit Ostern in Verbindung: der Auferstandene am Ostermorgen und Maria Magdalena erkennt ihn erstmal nicht, usw… Erwartet habe ich eine Ausfaltung der Frohen Botschaft von Ostern: die Gewalt behält nicht das letzte Wort und den letzten Zugriff auf den Menschen. Der christliche Glaube nährt die Hoffnung: es gibt eine Größe, die in den Abgründigkeiten menschlicher Existenz den Zugriff des Todes unterläuft und er eben nicht die letztlich entschiedenden Hoheitsrechte über die Gestaltung menschlichen Lebens besitzt. Nicht der Tod besiegelt das Leben des Menschen, sondern seine Überwindung, die Auferweckung.
Doch die nächste Zeile des Gedichts irritiert: „Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.“ Ein Blick auf den Titel des Gedichts bringt Klarheit: Er lautet: Der Krieg
Damit war zunächst mal gar nicht zu rechnen, aber: So eng liegt beides beieinander; so leicht läßt es sich verwechseln, so leicht läßt sich Krieg zu Beginn als Evangelium lesen, hören, verschleiern.
In den aktuell offengelegten kirchlichen Missbrauchsgeschichten sexualisierter Gewalt von Priestern an Kindern wird genau das immer wieder sichtbar. Mitten in der Kirche, vom Klerus, wird nicht das Evangelium den betroffenen Kindern gebracht, sondern in seinem Gewand das Gegenteil. Man erwartete die Erlösung und es kam die Gewalt.
Und so verhält es sich auch im Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Man hat ihn nicht erwartet, dachte immer noch, Nein: Das macht der Putin nicht. Der Krieg wird nicht auferstehen. Dann kam die Ernüchterung. Und auf diese erste folgte sogleich die zweite: Laut russischer Propaganda ist die Spezialoperation eine Art Befreiungs-Evangelium für jene die unter dem behaupteten ukrainischen Nazi-Terror Leidenden. Putin medial mit brennender Kerze in der Osternacht.
Doch, das kann wahr sein. Das wissen wir jetzt.
Es gibt ein eindeutiges Kriterium, den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen zu überprüfen: Die christliche Osterbotschaft gründet auf dem Vorfinden des leeren Grabes. Das Spezial-Evangelium russischen Krieges füllt gerade massenweise Gräber. Putin scheut sich nicht, „Gott“ vor den Karren seines Größenwahns zu spannen (das erinnert übrigens an die Versuchungsgeschichte Jesu, wo der Teufel im Namen Gottes Jesus die Macht über alle Welt verspricht, wenn er der Agenda seiner Propaganda folgt und eben auch an die kirchlichen Missbrauchs-Täter).
Wo bleibt da die Glaubwürdigkeit der Osterbotschaft? Heute müssen wir Ausschau halten: Finden wir in all dem Zeichen des Evangeliums? Wo? Können wir noch hoffen, dass sich bewährt, was der Glaube verspricht, dass aus den Tiefen der Abgründe menschlichen Lebens nicht nur diese Destruktivität aufsteht, sondern in ihr auch der Widerstand gegen sie: das Ja zum Leben und das Nein zum Tod? Das ukrainische Volk hat alle mit seiner entschlossenen und tatkräftigen Widerständigkeit überrascht. Als der Krieg in der Dämmerung auferstand, hat es sich erhoben und Zeugnis abgelegt für den Ostermorgen. Dieses Zeichen leuchtet in der Finsternis. Die Kerze Putins dagegen verbrennt.
R. Fuchs